Offener Brief zur geplanten Beteiligung der Gemeinde Nordstemmen am Fernwärmenetz Adensen

Offener Brief

Dies ist ein offener Brief, der am 13.10.2025 an Herrn Niemann (Leiter Fachbereich 1) und die Ratsmitglieder der Gemeinde Nordstemmen versendet wurde.

An Herrn Niemann (Leiter Fachbereich 1) und die Mitglieder des Rates der Gemeinde Nordstemmen

Sehr geehrter Herr Niemann,

ich schreibe Ihnen diese E-Mail als offenen Brief und setze alle Ratsleute in CC, deren E-Mail-Adressen mir bekannt sind. Ich rufe die Ratsleute auf, die E-Mail an ihre Kolleg:innen weiterzuleiten, deren E-Mail-Adressen ich nicht besitze. Frau Dombrowski kriegt natürlich auch eine Kopie.

Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, interessiert mich die angedachte “Investition” in das Wärmenetz in Adensen durch die Gemeinde sehr. Ich habe nunmehr ihre aktualisierte Version der Drucksache 75/2025 studiert. Ich schreibe Ihnen im Folgenden meine Gedanken, unterbrochen von Fragen, zu den Inhalten. Mir ist klar, dass Sie meine Meinungen und Gedanken nicht teilen (sonst wären Sie nicht zu Ihrer befürwortenden Einschätzung gekommen) und erwarte keine Zustimmung. Ich würde mich allerdings freuen, wenn Sie sich so vorbereiten, dass Sie die Fragen morgen in der Einwohner*innen-Fragestunde beantworten könnten (ob ich die Fragen stelle, überlege ich mir noch, es würde sicherlich ziemlich viel Zeit kosten, aber womöglich der Gemeinde viel Geld sparen).

Wirtschaftlichkeit des Projekts

Die Gemeinde will sich mit erheblichen juristisch-gymnastischen Verrenkungen (um das Gesetz überhaupt einhalten zu können) an dem geplanten Fernwärmenetz in Adensen beteiligen. Dafür sind 8,9 Millionen Euro Invesitionsumme geplant, um 263 Abnehmer zu versorgen. Das sind pro Abnahmestelle 33.304 Euro. Ich gehe davon aus, dass dies noch nicht die Betriebskosten beinhaltet. Dazu meine Fragen:

  • Wie kommen Sie darauf, dass diese Art der Versorgung für die Leute wirtschaftlich sein könnte, wenn diese bereits funktionierende und womöglich abgeschriebene Heizungen besitzen, oder einfach eine Wärmepumpe für deutlich weniger Investitionssumme errichten können?
  • Wie sollen die Investitionskosten an die Betreibergesellschaft zurückgezahlt werden? Welche Wärmeabnahmemengen kalkulieren Sie und was soll die Kilowattstunde kosten? Welchen Anteil hat in diesem Preis die Rückzahlung der Investition und welchen die tatsächlichen Kosten für die Wärme aus der Biogasanlage?

Vertragslaufzeit und Risiken

Außerdem soll der Vertrag mit dem Wärmelieferanten für nur 10 Jahre abgeschlossen werden. Dazu meine Fragen:

  • Welche Energiekosten haben die Nutzer:innen zu erwarten, wenn die Investitionskosten innerhalb von 10 Jahren zurückgezahlt werden sollen? Wenn der “Investitionskostenanteil” an den Wärmekosten für die Abnehmer:innen nicht zu einer Rückzahlung der vollständigen Investition innerhalb von 10 Jahren führen soll, welche restliche Summe erwarten Sie nach 10 Jahren?
  • Ist nicht davon auszugehen, dass der Wärmeversorger und Betreiber der Biogasanlage nach 10 Jahren bei den Verhandlungen über die Fortführung der Wärmeversorgung für das Wärmenetz die Betreibergesellschaft und damit mittelbar die Verbraucher:innen bis zum letzten auspressen wird? Welchen Anreiz (außer der Vermeidung von sozialer Ächtung) sollte der Betreiber haben, nicht einfach den maximal akzeptablen Preis zu verlangen? Er wird ja wissen, dass die Gemeinde kaum “nein” sagen kann, weil dann das ganze investierte Geld futsch ist.
  • Welcher Lieferpreis für Wärme wurde mit dem Biogasanlagenbetreiber vereinbart (pro kWh)? Sind diese Vereinbarung rechtskräftig und gültig oder wird darüber noch verhandelt werden müssen?

Kreditausfallrisiko

Sie schreiben in Ihrer Drucksache, meiner Meinung nach etwas schwer verständlich:

Das Kreditausfallrisiko der Gemeinde wird dabei nicht beseitigt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich später keine Nachnutzung für das Wärmenetz findet. Das wäre allerdings auch nicht anders, wenn die Gemeinde selbst investieren würde und sich das kommunale Wärmenetz später als ein nicht nachhaltiger Ansatz erweist.

Dazu meine Frage an Sie:

  • Wäre dies nicht anders, wenn sich die Gemeinde überhaupt nicht an diesem Projekt beteiligt? Dann wäre doch das Kreditausfallrisiko gleich null, oder nicht? Ist die Gemeinde gezwungen, eine Wärmenetz zu bauen, welches sich als “ein nicht nachhaltiger Ansatz” erweist? Wären solche genauen Untersuchungen durch Experten nicht Teil einer korrekt gemachten kommunalen Wärmeplanung?

Meine Einschätzung

Das ganze Projekt riecht für mich von vorne bis hinten nach dem Material, aus dem die großen Kommunalskandale gemacht sind: Ein extremes Risiko, was aus Gründen - die für mich in diesem Fall nicht nachvollziehbar sind (Wieso setzt sich die Verwaltung so sehr für dieses Projekt ein?) - kleingeredet wird und man nach dem Prinzip Hoffnung verfährt. Zehn oder zwanzig Jahre später tritt der weitgehende Totalverlust ein und alle sagen: “Das hätte man doch kommen sehen müssen, wie kann das sein?”. Heute sieht man aber genau das. Die Gemeinde hat meiner Einschätzung nach keinerlei Vorteile von der Beteiligung an diesem Projekt, außer vielleicht einem kleinen rechnerischen Profit durch die Beteiligung an der Betreibergesellschaft wenn wirklich alles perfekt läuft und auch in 40 Jahren noch jemand zu günstigen Konditionen Wärme für das Wärmenetz liefert. Sobald es aber die geringsten Schwierigkeiten gibt, stürzt das Projekt sofort ab: Was nutzt ein teures Wärmenetz, wenn man niemanden hat, der billige Wärme hineinspeisen kann? Was nutzt ein Wärmenetz, wenn wegen der vergleichsweise billigen Konkurrenz (Wärmepumpe und Strom) alle Abnehmer aussteigen?

Ich kann wie oben gesagt nicht im geringsten nachvollziehen, wieso diese Idee überhaupt von der Verwaltung der Gemeinde betrieben wird. Meines Erachtens hat sich die Bürgerenergiegenossenschaft in eine womöglich ideologisch getriebene Sackgasse verrannt. Grundsätzlich klingt die Idee, sich lokal mit der Abwärme aus einer Biogasanlage zu versorgen natürlich toll. Aber wenn man das einmal durchrechnet, kommt man leider schnell zu dem Schluss, dass es weder wirtschaftlich, noch ökologisch Sinn macht. (Ich denke, wenn wir eine wirklich unabhängige kommunale Wärmeplanung fertig haben, werden diese Aspekte sicherlich auch so dargestellt werden.) Meiner Meinung nach haben sich die führenden Köpfe der Bürgerenergiegesellschaft schon mit Versprechungen an Genoss:innen so weit aus dem Fenster gelehnt, dass es Ihnen schlicht unangenehm ist, den Irrweg einzugestehen. Sicherlich hat die Genossenschaft auch schon erhebliche Vorleistungen gebracht und das Projekt jetzt, nachdem meiner Meinung nach klar ist, dass es einfach niemals wirtschaftlich betrieben werden kann, einfach einzustampfen, würde zu einem empfindlichen Verlust in der Genossenschaft führen, welchen die Genossen in Form eines heftigen Abschlags auf ihr eingebrachten Eigenkapital zu tragen hätten. Dies gilt selbstverständlich auch für alle Ratsleute und möglicherweise Verwaltungsmitarbeiter:innen, die an dieser Genossenschaft beteiligt sind (Achtung! Interessenkonflikt!). Wie so oft wendet man sich in so einer Situation an den letzten Strohhalm, die öffentliche Hand, wo im Zweifel Leute bereit sind, Geld, das nicht das eigene ist, großzügig auszugeben (eigenes Geld will nämlich offensichtlich niemand hergeben, sonst wäre die Genossenschaft ja gar nicht erst vorstellig geworden, sondern hätte echte Investoren gefunden, die es in der Branche mehr als genug gibt). Die Gemeinde hätte aber meiner Meinung nach bereits schon vor geraumer Zeit dieser, das ist meine Meinung, Schnapsidee einen Riegel vorschieben sollen. Das Wärmenetz in Adensen wird den Leuten keine wirtschaftlichen Vorteile gegenüber einfachen Wärmepumpen bringen, die Risiken für die Kommune sind extrem (“ein Totalverlust kann nicht ausgeschlossen werden.” Hallo? Liest das hier niemand?) und die Umweltfolgen sind furchtbar. Statt diesen Phantasien weiter Nahrung zu geben, sehe ich es als Aufgabe der Verwaltung, die oder der sprichwörtliche “Erwachsene” im Raum zu sein und den Leuten die bittere Realität klar zu machen: “Es gibt bewährte, langweilige, billige und gute Methoden, sein Haus zu heizen und das reicht. Wir können das Geld nicht drucken und ihr auch nicht. Nehmt Erdgas, nehmt Wärmepumpe und gut ist!”

Appell an den Rat

Ich hoffe, dass jetzt zumindest der Rat diesen Phantasien den Stecker zieht und die Gemeinde vor dem Risiko bewahrt, 4 Mio Euro in die Tonne zu werfen. Sollte er zustimmen, bin ich mir sicher, dass die Kommunalaufsicht bei genauer Prüfung ablehnen wird, ich weiß auch schon warum, aber diese Diskussionen brauchen wir jetzt hoffentlich noch nicht zu führen.

An die Ratsleute gerichtet: Bitte bedenken Sie: Die Adenser werden bei einer Errichtung des Wärmenetzes wahrscheinlich kein Geld sparen (wenn Sie das anders sehen, Herr Niemann, nennen Sie mir doch bitte mal die konkreten Zahlen, mit denen Sie da pro kWh rechnen und was Wärmepumpe oder Gasheizung (die ja schon da sind!) Ihrer Meinung nach im Vergleich kosten würden), aber die Gemeinde vielleicht (meiner Meinung nach wahrscheinlich) 4 Mio Euro in den Sand setzen. Macht das dann für Sie Sinn? Soll man sich später an Sie erinnern, dass Sie an einem derartigen Skandal beteiligt waren?

Schlussbemerkung

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in der Sitzung morgen, zu der ich auch kommen werde. Meinen Senf habe ich mit dieser E-Mail bereits gesagt und werde mich bemühen, die Sitzung nicht durch lästige Wortbeiträge unnötig in die Länge zu ziehen. Das Stellen der Fragen, die oben stehen, behalte ich mir ausdrücklich vor.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Levin Keller


Versendet am: 13.10.2025 Zur Case Study: Fernwärmenetz Adensen - Recherche eines kommunalen Verwaltungsvorgangs